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"Wir
sind das Volk" Die NPD bedient sich
bei der Bürgerbewegung. Parteivorsitzender
Udo Voigt (r) mit dem Nationalisten Frank
Schwerdt am 1. Mai 2003 in Berlin. |
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Berlin, 26. April 2004.
„Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer
raus“ – so offen wie vor Jahrzehnten propagieren
Rechtsextreme ihre Ziele längst nicht mehr. Heute
besetzen die Kurz- bis Kahlrasierten leer stehende Häuser
und protestieren gegen Faschismus und Intoleranz. Viele
von ihnen schwenken bei Demonstrationen sogar rote Fahnen,
tragen Palästinensertücher oder formieren
sich zum „Schwarzen Block“, ein bisher von
Autonomen her bekanntes Ritual. |
Mit dem Ziel, „eine
Erlebniswelt Rechtsextremismus zu entfalten“, werde
bei den linksorientierten sozialen Bewegungen abgekupfert,
sagt Thomas Pfeiffer vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz
in Düsseldorf.
In Lübeck solidarisierten
sich jüngst „Linksnationale“ während
einer Villen-Besetzung ausdrücklich mit den Bewohnern
des Hamburger Bauwagenplatzes „Bambule“. In Vorpommern
kämpft eine „Bürgerinitiative schöner
und sicherer wohnen“ gegen Asylbewerberheime. „Lange
genug wurde der Fehler gemacht, Aktionsformen abzulehnen,
nur weil die Linken sie zuerst verwendeten“, so die
neue Selbsterkenntnis der Akteure.
In Berlin tarnten sich
erstmals im Dezember 2003 Extremisten um den rechten Kader
René Bethage als schwarze Demonstrationsmasse, um der
Polizei den Überblick zu erschweren. Doch von Einigkeit
ist die Szene weit entfernt. Die Gegner geißeln den
„Schwarzen Mob“ in Web-Foren als „Mummenschanz“
oder „oberflächliche Selbstdarstellerei“.
Auch werden Sympathieverluste und Ärger mit der Polizei
befürchtet.
Aber auch inhaltlich schwenken
rechte Skinheads, Kameradschaften und NPD-Aktivisten auf die
linke Linie ein. „Über die Propagierung von Themen
wie „Kapitalismus zerschlagen" oder „autonomen
Widerstand leisten" versuchen diese Leute, ihr Rekrutierungspotenzial
zu vergrößern und gesellschaftliche Anerkennung
zu gewinnen“, beschreibt Berlins Innensenator Ehrhart
Körting (SPD) die neue Taktik.
Polizeiexperten in der
Bundeshauptstadt sehen „bei nahezu sämtlichen Themen“
Konformität mit den Linken oder bürgerrechtlichen
Traditionen. NPD und Kameradschaftsführer wie der Hamburger
Christian Worch haben die Sogkraft des Leipziger Wende-Slogans
„Wir sind das Volk“ erkannt und hängen ihn
seither an ihre Kundgebungstribünen – als Absage
an die parlamentarische Demokratie, wie der Politologe Wolfgang
Gessenharter von der Hamburger Bundeswehr-Universität
betont.
In Leipzig, Berlin und
anderswo springen die Neonazis auf die Demonstrationszüge
des 1. Mai, um „gemeinsam gegen Kapitalismus, Globalisierung
und für eine sozialistische Alternative“ zu demonstrieren.
Einen Teil der Ziele dürften selbst attac-Anhänger
unterschreiben. Unter Führung der NPD greifen die Rechten
so „eines der wichtigsten Symbole der Arbeiterbewegung
auf“, und wandeln es sprachlich fein nuanciert zum „Tag
der nationalen Arbeit“, erläutert Sozialwissenschaftler
Pfeiffer. Arbeit eben zuerst für Deutsche.
In Köln nutzt die
„Bürgerbewegung pro Köln“ das positive
Image der DDR-Dissidenten für ihren Namen und wird doch
als „im Rechtsextremismus verankerte Organisation“
vom Verfassungsschutz observiert, so Pfeiffer. Auf den Dresdner
Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau hielten Rechtsextremisten
Transparente gegen die Agenda 2010 in die Höhe, bestätigt
Sachsens Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock.
Das Merkwürdige:
Die Linke scheint es kaum zu stören. „Eher halbherzig“
protestierten Dresdner Autonome bisher gegen die Vereinnahmung
ihrer Themen und Symbole, in Leipzig herrsche völlige
Stille, so Stock. Lediglich am Rand der Dresdner Montagsdemos
kam es zu lautem Protest gegen die rechten Trittbrettfahrer,
eine Dresdner „rechtsextremistische Führungsperson“
wurde von Autonomen verprügelt.
In Sachsen sei bisher
kein schwarzer Block aufmarschiert, sagt Stock. Dies könnte
sich aber am 1. Mai ändern. Noch ringt Kameradschaftsführer
Worch als Versammlungsleiter der Leipziger Kundgebung bei
seiner Klientel um Geschlossenheit. In Berlin rechnen Polizei
und Verfassungsschutz mit weiteren Annäherungsversuchen
von Rechts und Links. Die äußerlich Unterscheidung
dürfte für die Einsatzkräfte "immer schwieriger
werden", befürchten Polizeikreise. Innensenator
Körting gibt sich sicher: Seine Leute "haben sich
auf die sogenannte "Chamäleon-Taktik" der Rechtsextremen
eingestellt"
. ...zurück
von
Tilman Steffen
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